Ich bearbeite zur Zeit eine Studie über eine Stadt, die von einer darbenden Gemeinde zum mondänen Modebad geworden war. Dabei fiel mir das folgende Dokument eines Herrn in die Hände, dessen Wirken für diese Erfolgsgeschichte von größter Bedeutung war. Er schildert darin, was er tat, um von einer bescheidenen Herkunft aus das höchste Amt zu erreichen.
Wie macht man das also?
Selbstverständlich distanziere ich mich von seinen verwerflichen Äußerungen und Taten.
Mein Leben, mein Aufschwung und Erfolg sowie mein Untergang, von mir selbst in notwendiger Kürze erläutert
Ich heiße ..... ....., bin am ...... in ....... geboren, in einer Familie bescheidener Stellung. Schnell erkannte ich, dass ich zum Mittelpunkt der ziemlich großen Schar meiner Geschwister geworden war, was ich sagte und tat fand das allgemeine Interesse und Zustimmung. Dies, obwohl ich nicht der Erstgeborene war. Ich zog daraus den Schluss, dass ich meinen Weg im Leben machen könnte, ja sogar zu Höherem befähigt war.
Die lächerlichen Übungen und vagen Abstraktionen, die in der Schule angeboten wurden, langweilten mich, wie mir der Zwang, gehorsam zu sein, unangenehm war. Statt den pflichtbewussten Schüler zu spielen, ging ich lieber auf die Straßen, beobachtete, was die Erwachsenen so taten. Vor allem ihre Versuche, die ihnen auferlegten Sitten einzuhalten oder diese zu umgehen, das heißt sich durchzuschlängeln, durchschaute ich schnell. Ich bewertete ihre Handlungen nach dem Maß, ob sie etwas einbrachten oder falsch angelegt waren.
Sobald ich es konnte, verließ ich meine Stadt, die zu abgelegen war, um zu reussieren. Nicht, dass ich mich etwa den Wissenschaften hingab, das Pragmatische nicht das Erkünstelte zog mich an. Ich reihte mich dort ein, wo das Feld möglicher Aufstiege gegeben war, dort, wo man sich gegenüber Mitbewerben vorschieben konnte, wenn man es nur richtig anfing.
Dort eingereiht, erkannte ich, dass bloßes Angepasstsein nicht von den Vorgesetzten belohnt wird. Auch dass diese Herren, die durch ihren Stand und Protektion in ihre Stellung gekommen waren, nach ihrem Verhalten zu unterscheiden waren. In diejenigen, die es bei dem geringst Notwendigen ihrer Stellung beließen einerseits. Und andererseits in diejenigen, die die sich bietenden Gelegenheiten ergriffen hatten und schon an ihren Mitbewerbern um höhere Positionen vorbeigezogen waren.
Den letztgenannten erwies ich mich hilfsbereit, fand heraus, was ihnen nützlich war. Und übernahm Aufgaben, die diesen in ihren jeweiligen Schwächen unangenehm waren. Oder was ihnen einen Ertrag einbrachte. Dazu gab es genug Gelegenheiten, die ich ergriff.
Dass ich schon damals mit Neidern zu tun hatte, war mir bewusst. Ich mied den Umgang auch mit denen, die mich an dem, was sie als geselligen Umgang - besser gesagt als zeitraubendes Treiben - bezeichneten, beteiligen wollten. Man sagte mir daher nach, dass ich ungesellig und arrogant sei, was mich nicht wenig belustigte. Den Umgang mit etwaigen Mitbewerbern bringt nichts Gutes mit sich, da sie meine Schwächen auskundschaften wollten.
Ich bemerkte zudem, dass die umlaufenden Meinungen oder gar vorherrschenden Auffassungen, zu denen man verpflichtet sei, nur die Fassade waren, zu dem, was die tieferliegende Schicht der eigentlichen Zielsetzungen, des Ertrags aus gegebener Stellung heraus, ausmachte. Ich äußerte gelegentlich oppositionelle Gedanken, um mich als nachdenklichen Kopf zu präsentieren.
Ich machte es mir zur Pflicht, beim Beobachten und Denken mir Zeit zu lassen, da die ersten Wahrnehmungen auf Eindrücken beruhten, also nur Empfindungen sind, die späteren Ergebnisse der Prüfung verlässlicher waren, weil nicht nur eine sondern mehrere Wirkungen und deren Ursachen zu berücksichtigen sind, und diese auch untereinander verwoben sind. Erst in den Hintergründen eines Vorgangs findet man das heraus, was Ursache und Wirkung ist, und wie somit die Verbindung der Mittel zum Zweck richtig angelegt war oder nicht.
So wurde man auf mich an höherer Stelle aufmerksam.
Und man betraute mich mit Aufgaben. Nicht die, die jedermann bewältigt, sondern die, die mit Durchblick anzugehen waren. Es war zum ersten eine Aufgabe, die Geschick aber auch Härte gegen Menschen nötig machte. In einem räumlich entfernten Bereich unseres Unternehmens waren nicht tolerierbare Insurrektionen aufgetreten. Ich merkte gleich nach dem Eintreffen, dass die Beteiligten sich in fehlgeleiteten Aufwallungen verfangen hatten, mit Appellen an die Vernunft und Hinweise auf mögliche Folgen war da wenig zu erreichen. Richtig war es, die Beteiligten voneinander zu isolieren, mit denen, die in einer Empörungsanwallung nur am Rande eingefangen worden waren, war es ein leichtes Spiel, sie zurückzuholen. Ich unterlief die Ungehorsamkeit somit von ihren Rändern her.
Wenn jedoch die Androhung von Härte bei den Verursachern der Unruhe nichts fruchtete, so wurde diese exekutiert. Dem letzteren entzog ich mich jedoch, denn daraus konnten für Andere instrumentierbare Gerüchte und Ehrabschneidungen zu meinen Lasten entstehen.
Es war eine Zeit, in der das Unternehmen, in dem ich tätig war, selbst in tiefgreifender Unruhe sich befand. Es galt das Altgewohnte, das nur noch Lähmung bewirkte, abzuschütteln. Der Umsturz war schon erreicht, das oberste Direktorium entsprechend ausgewechselt. Es war in dieser Situation erforderlich, das Notwendige, das der aufgewühlten Zeit anheftende Besondere und darin eingeschlossen das Zufällige zu sehen. Ich ließ mich nicht mitreißen, wenn die unterschiedlichen Bewertungen zu Gruppierungen und Gegnerschaften geführt hatten. Sondern handelte mit Nachsicht und Vorsicht, und wartete ab. Wo es gegeben war, erkannte ich die inhärenten Chancen, wie sie zumeist aus Zufälligkeiten entstanden waren. Dort war der Platz, die Tugend des Mutigsein einzusetzen, das heißt, tätig zu werden, um voranzukommen. Dass ich beweglich war und wechselte, wenn nötig, ging damit einher, den Fahnen der häufig wechselnden Meinungsführerschaften zu lange treu zu bleiben, war meine Sache nicht.
Einmal hatte ich jedoch das Nachsehen, da ich - wie man sagt - auf das falsche Pferd gesetzt hatte, und in Ungnade gefallen war. Ich musste schleunigst in meine Heimatstadt zurückweichen, das war eine Lehre für mich. Es dauerte aber nicht lange, dass man mich wieder brauchte und mich zurückrief. Nun war ich nicht mehr der dienende Mitspieler und Befehlsempfänger, sondern im Stand desjenigen, den man benötigte. Das macht einen großen Unterschied aus.
Dies war so gekommen. Die Direktorien konkurrierender Unternehmen befürchteten, dass ihre Gefolgsleute sich von dem, was wir mit Erfolg betrieben, infizieren ließen. Es waren bei ihnen - uns angenehme - Insurrektionen schon aufgetreten, wie uns berichtet worden war. In den Direktorien dieser Unternehmen einigten man sich darauf, dass sie das sie begünstigende Althergebrachte - ihre Privilegien - auch bei uns wieder herstellen zu wollen. Eine gegnerische Auseinandersetzung auf offenem Feld war somit zu gewärtigen.
Man beauftragte mich und versorgte mich mit den notwendigen Mitteln der Gegenwehr. Die Mittel - so war mir schon lange bewusst - können wie gewohnt verwendet werden, damit sind sie jedoch für die Gegenseite berechenbar, was zu vermeiden ist. Meine Mittel musste ich anders anordnen, umso mehr da die ihrigen deutlich über den mir gegebenen dimensioniert waren.
Ich sah die Schwäche der Gegner vor allem darin, dass sie untereinander uneins waren und daher viel Zeit benötigten, bevor sie sich aufstellen konnten. So tat ich alles, was der Schnelligkeit im Einsatz meiner Mittel diente. So konnte ich wiederum die bewährte Strategie des Isolierens anwenden, das heißt, bereit zu stehen, bevor sie ihr übergroßes Potential zusammen gezogen hatten.
Als sie erkennen mussten, dass ihre Mittel, mich zu unterwerfen, erschöpft waren, mussten sie sich zum Verhandeln bequemen. Ich befand mich naturgemäß in günstigster Stellung, da sie bitten mussten, ich gewähren konnte. Ich demütigte sie jedoch nicht, sondern überließ ihnen ein Weniges um für mich das Wichtigere zu erreichen. Das bestand auch darin, dass ich sie zwingen konnte, ihre eigene Unternehmungen nach meinen Prämissen umzugestalten.
Das brachte mir viel Ehre und Zustimmung ein, die ich dazu nun benutzen konnte, mich im Direktorium meines Unternehmens an prominenter Stellung zu etablieren. Bis dahin hatte ich es vermieden, mich in das erratische Treiben im Direktorium einzumischen. Nun war die Stunde gekommen. Ich demütigte den Vorsitzenden des Direktoriums, in dem ich seiner Geliebten Honneurs machte und sie, die - wie ich - die Konstellation richtig einzuschätzen wusste, bald zur Frau nahm. Ich setzte ihn damit der allgemeinen Lächerlichkeit aus, was ein schwerwiegendster Nachteil und Anlass zu mancherlei Intrigen gegen ihn war. Es dauerte daher nicht mehr lange, es bedurfte auch keiner großen Mühe, mich an seine Stelle zu setzen. Und schließlich die anderen Mitglieder des Direktoriums, die ich zu Verbündeten gemacht hatte, nun gleichfalls zu entfernen. Sie erhielten einträgliche Posten und mussten daher trotz ihrer Schmach still halten.
Es war nur sinnfällig, dass ich mich nicht durch einen Beschluss etwa einer sich dazu berufen fühlenden Autorität in dieser Stellung bestätigen ließ, sondern ich mich selbst zum Oberherrn ernannte, den Hut selbst aufsetzte - wie man es nennt. Dies im Rahmen einer Festlichkeit, die umso mehr meine Würde und Machtbefugnis für jedermann sichtbar machte.
Die schon erwähnten gegnerischen Unternehmen hatten sich mittlerweile - wie es vorauszusehen war - in ihren gegenseitigen, gegenläufigen Interessen wieder verfangen, waren jedoch so unklug, erneut mit mir die Auseinandersetzung zu wagen. Nach ihrer erneuten Niederlage demütigte ich sie wieder nicht, aber schwächte sie weiter, indem ich einige ihre Abteilungen zu meinen Verbündeten machte, dies gelang mir leicht, indem ich diesen Gewinne in Aussicht stellte. Wohlgemerkt zu Lasten nicht meines Unternehmens sondern zu den ihnen bisher vorgesetzten Direktorien. Durch diese Spaltung kam ich in die Lage, meinen Einfluss, mein Willen zur Macht, in diesen Unternehmen geltend machen zu können. Ich war nun in der bequemen Situation, nicht nur gefürchtet zu sein sondern auch bewundert zu werden.
Nun stand ich ihm Zenit meines Erfolgs. Jedoch - hélas - somit am Beginn seines Endes.
Es waren meine Geschwister, auch meine Mutter, die ich - unklug genug - an meinem Erfolg partizipieren ließ. Ich berief sie in beherrschende Positionen in den Unternehmen meiner geschlagenen Gegner und meiner mir ergebenen neuen Verbündeten. Wie ich selbst die Hand der Tochter des Oberhaupts des bedeutendsten ihrer Unternehmen einforderte und sie heimführte.
Es war - ich muss es gestehen - eine Schwäche, die sich - so sehe ich es jetzt - aus meiner Herkunft als Parvenue entstanden war. Meine Geschwister erfüllten nicht ihre Aufgaben, sie wollten feiern, für sich ausnutzen, was ihnen ohne eigenes Verdienst zugefallen war, und verspielten so die Zustimmung ihrer Bedienten, eine reizendes Wort in seiner Doppeldeutigkeit. Man muss zu teilen - und - zu beteiligen wissen, um Gegnerschaften nicht aufkommen zu lassen. Das befolgten sie nicht. So musste ich ordnend eingreifen, wie lästig und wie zeitraubend.
Mit den Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Wie wahr!
Zwei Unternehmen hatte ich nämlich nicht unterwerfen können. Das eine hatte erreicht, eines meiner Machtmittel zu vernichten. Das andere hatte ein Potential, das ich - als ich angriff - unterschätzt hatte, die Weitläufigkeit seines Besitzes, ich verlor mich darin und kehrte geschlagen zurück. Danach musste ich erleben, dass sie in mein Unternehmen eindrangen und in meinem eigenen Haus mir mein Scheitern attestierten und mir den Verlust meiner Macht diktierten.
Nun sehe ich - vom Himmel oder im engen Gehäuse meiner jetzigen Wohnung in der Ehrenhalle meines Unternehmens heraus - mit diebischen Vergnügen - wie Andere mir nacheiferten. Sie begannen als Parvenue, wurden zum Held und angeblichen Retter ihrer irregeleiteten Gefolgsleute, die ihre eigenen Interessen für eine angeblich gute Sache wegen zurückgestellt hatten, um danach - wie in meinem Fall - ihrem selbst verschuldeten Untergang entgegen zu eilen.
Geschrieben am ... des Jahres ... in ......